Mal allen Ernstes: Dem wahren und dem echten Heino zum Trotz, ist Rio Reiser der einzige, wirkliche deutsche Volkssänger unserer Zeit "Danke, finde ich auch, will ich auch sein", reagiert der so charakterisierte und ist keineswegs beleidigt. Ein Volkssänger ist im besten Fall einer fürs Volk und aus dem Volk.
Rio Reiser, seit den frühen Tagen von TonSteineScherben, der legendären Polit-Rock-Gruppe, als Kultfigur in die deutsche Rockgeschichte eingegangen, hat nicht den Ehrgeiz, Kunst zu machen. Trotzdem hat er nie versucht, wie Lindenberg eine aufgesetzte Kunstsprache als Szenejargon zu verkaufen.
Statt dessen bestimmten die Scherben mit unmißverständlichen Slogans wie "Keine Macht für niemand" oder "Macht kaputt, was euch kaputt macht" den Zeitgeist der Siebziger mit. Aber TSS war keine Krawallcombo, selbst wenn ihre radikaleren Fans die Zwischentöne, auch in Form von zärtlichen Liebesliedern, gern überhört haben. Für Rio hat sich als Solist mit bislang drei Alben, "Rio I" (im Untertitel "König von Deutschland"), "Blinder Passagier" und nun "Rio ***", an der Gewichtung wenig geändert. Er pflegt seine eigene Sprache mit schönen Bildern und mitunter irrwitzigen Assoziationen, zeigt sich dabei als ewiger Träumer mit wachem Geist und dokumentiert mit feiner Ironie die Schizophrenie des Alltags. Wie private, ja intime Rückzugswinkel wirken dabei immer seine langsamen Liebeslieder: Rio, der Balladensänger.
Daß viele gerade auf diese Seite von Reisers Schaffen abfahren, ist ihm nichts Neues. "Ich glaube aber nicht, daß die Balladen dieselbe Wirkung hätten, wenn sie nicht in diesem Zusammenhang ständen", kann sich der Sänger selber gar kein komplettes Werk mit leisen Tönen von sich vorstellen: Außerdem fallen mir diese Lieder auch erst ein, wenn ich meine Aggressivität, meinen Zynismus, auch meine Albernheit in anderen Nummern ausgelebt habe. Und bei so einer Platte läßt sich kein einzelnes Lied herausnehmen. Das ist schon eine Art Gesamtkunstwerk."Produktionstechnisch fällt diesmal auf, daß "Rio***" mit viel Elektronik aufgenommen wurde, trotzdem aber spontan und auch nicht technisch ausgefuchst klingt. Wie ein billiges Sampleorchester tönt die Begleitung. "Stimmt", gibt Rio unumwunden zu. "Es wird ja immer behauptet, daß Computer alles glätten, begradigen und zu exakt sind. Aber sie funktionieren, wie ein Tonbandgerät. Es kommt nur raus, was du vorher reingespielt hast." Und da Reiser mit einer gesunden Naivität ans Werk gegangen ist, kam dabei diese Art von genialem Dilettantismus heraus, die selbst die Techno-Freaks Udo Arndt und Reinhold Heil alias Die Kuhjaus als Produzenten so begeisterte, daß sie sich uneingeschränkt auf Rios Trip einließen. Die Drei plus Scherben-Gitarrist R.P.S. Lanrue waren die Band, aber keine im ursprünglichen Sinne. Rio dazu: "Die Frage vor dieser Produktion war auch: Bedienen wir diesen Fetisch Band?" Die klare Antwort lautete nein, zumal Reiser diesmal aufgrund der erstrebten Lebendigkeit nicht mit den "Hochprofis" Cress/Taylor/Weihe arbeiten wollte.
Detlef Kinsler