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      Der Traum geht weiter

      Das Revival der Agitrock-Kultband "Ton, Steine, Scherben"

      Schon die erste Single der Ton Steine Scherben "Macht kaputt, was euch kaputt macht" wurde zur Kampfparole. Das Berliner Quartett bestimmte von 1970 bis 1985 wie keine andere Band den bundesrepublikanischen Alltag, lieferte den anarchistischen Soundtrack zu Friedensdemos, Solidaritätsveranstaltungen und der ersten Hausbesetzung Westberlins. Frontmann, Sänger, Gitarrist und Keyboarder Rio Reiser schrieb kraftvolle, rebellische, visionäre, aber auch poetische Rocksongs von zeitloser Gültigkeit. Viele davon sind auf dem einzigen Best-Of-Album "Auswahl I - Klassiker & Raritäten" zu hören, das soeben in digitaler Nachbearbeitung erschien (eastwest, Telefunken 8573 86236-2).
      Das gesellschaftliche Engagement und Wir-Gefühl machte die Scherben zur Agitrockband und ihre Lieder zu Straßen-Hymnen. Dass der charismatische und 1996 verstorbene Reiser auch den melancholischen Popsong beherrschte, bewies er 1984 mit seinem Solo-Hit "Dr. Sommer". Gründungsmitglied und Bassist Kai Sichtermann schildert in seinem Buch "Keine Macht für Niemand" diesen Werdegang aus persönlicher Sicht. "Ein Auslöser für das Buch was meine Tochter, die mir klarmachte, die Scherben seien Kult!", so Sichtermann (Schwarzkopf & Schwarzkopf, ISBN 3-89602-333-0).
      Dem Einfluss der Scherben auf die deutsche Musikszene ging Regisseur Christoph Schuch in seinem 92-minütigen Dokumentarfilm "Der Traum ist aus - Die Erben der Scherben" nach, in dem aktuelle Bands wie Die Sterne, Tocotronic, Element Of Crime 30 Jahre später eine musikalische und gesellschaftliche Standortbestimmung versuchen. Vor dem Start im Juni läuft der Film nun beim Dokumentarfilmfestival.

      Ingeborg Schober
      ["Süddeutsche Zeitung" ("SZ Extra"), 26. April 2001]