pressespiegel

       

      Süddeutsche Zeitung: 22.08.1996

      G a n z  
      d e u t s c h e   S e e l e

      Zum Tod von Rio Reiser

      Auch wenn es nicht mehr viele wissen: Er war der König von Deutschland. Und nun ist er tot. Innere Blutungen, im Alter von 46 Jahren. Ralph Möbius, der sich Rio Reiser nannte. Den Namen wählte er, ganz instinktiver Pop-Star, weil ein Freund ihm von dem Roman Anton Reiser erzählt hatte. Gitarre hat er wegen der Beatles gelernt, das Singen von Mick Jagger. Die deutsche Sprache verwendet wegen der Lehrlinge, die ihn verstehen sollten, wenn er sang: "Wir sind zwei von Millionen. Wir sind nicht allein."Dazu kam, ganz deutsche Seele, ein Faible für Karl May, Sozialismus und die Unterdrückten dieser Erde. Daraus wurden Ton, Steine, Scherben, Deutschlands einzig relevante Rock-Gruppe der siebziger Jahre. Nie das tun, was Establishment oder Szene gerade von einem erwartet: Häuserkampf und Satinhemden, Schlager und Prä-Punkrock, Kinderplatten und Agit-Pop für die militante Schwulenszene, Filmkarriere, Landkommune.
      Als andere Bands in diesem Land es auch so allmählich drauf haben, lösen die Scherben sich auf, nicht ohne große Tournee unter der Ägide von Fritz Rau. Danach lotet Rio Reiser die Untiefen der deutschen Schlagerbranche aus, während von Amerika bis Altona seine alten Lieder gecovert werden. Es ist irgentwie nichts geworden mit der kommerziellen Inthronisation des selbsternannten Königs von Deutschland. Aber jeder hätte es ihm den Titel streitig machen können oder wollen. Alles versucht, eine Menge versiebt - besser als umgekehrt.

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