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      Der Stern: 51-1987

      D i e   G i t a r r e
      u n d   d a s   M e e r
      Erst war er Heros der linken Szene, dann König von Deutschland. Jetzt ist Rio Reiser dabei, von Nordfriesland aus die Popszene zu erobern.

      Rio bezaubert alle: Teenies schieben sein neues Album "Blinder Passagier" neben Seichtpop-Lp´s von "Modern Talking" oder "Münchener Freiheit" ins Regal. Auch die um die 35, denen sonst nur Deutschgesungenes mit sozialkritischer Aussage auf den Plattenteller kommt, hören seine Songs. Und selbst die Redakteure der Musikzeitschrift "Spex", Zentralorgan der Pop-Avantgarde, sind hin und weg von seinen schwerblütigen Seemannballaden, schrägen Schlagernummern und engagierten Rock-Nummern. Rio Reiser kann es riskieren, in der ZDF-Talkshow "Live" zu verkünden, er wolle vorerst nicht mehr den Freistaat Bayern betreten - Rios Reaktion auf die vom Staatssekretät Gauweiler durchgedrückten Aids-Gesetze. Der Satz des bayerischen Innenminister Lang, man müsse "widernatürliche Randgruppen ausdünnen" gab ihm, der aus seinem Schwulsein kein Hehl macht, den Rest.

      Kein leichter Entschluß, wenn gerade eine Tour durch die deutschen Radio- und Fernsehsender ansteht zwecks Werbung für die neue LP. Nicht in der in München produzierten ARD-Videoparade "Formel Eins" präsent zu sein, kann Käufer kosten. Genauso wie der Verzicht auf die ZDF-Hitparade.

      Für seine Teenager-Fans ist der 37jährige ein Junger, den sie erstmal 1986 wahrnahmen, als der "Koönig von Deutschland" ganz oben in den Charts regierte. Ein Newcomer ohne Vergangenheit. Gerade die wird ihm von den Älteren gern vorgehalten.

      Als Ralph Möbius war Rio 1967 aus Bayern in seine Geburtsstadt Berlin zurückgekehrt. Gerade 17 Jahre alt, schrieb er die Musik zu einer Beat-Oper seiner beiden Brüder, die im "Theater des Westens" auch tatsächlich aufgeführt wurde. Dann sang und spielte er in einer Theatergruppe, bekam für die Titelrolle in "Johnny West" von Roald Koller einen Bundesfilmpreis. 1970 gründete Ralph, der sich inzwischen Rio Reiser nannte, die Gruppe "Ton, Steine, Scherben". Die forderte "Macht kaputt, was euch kaputt macht" und "Keine Macht für niemand", Hausbetzungen nach einem Konzert der "Scherben" gehörten mitunter zum guten Ton der linken Szene.

      Doch mit den Puristen, für die Musik nur ein Vehikel politischer Inhalte Sinn machte, kamen die "Scherben" nicht klar. Ihre Texte waren oft versponnen, Herz und Schmerz hatten durchaus ihren Platz. "Es gibt Leute, die halten ´Übers Meer´ für ein unpolitisches Lied. da kann ich nur sagen, hätten alle so eine sentimentale Beziehung zum Meer wie ich, würde keiner Dünnsäure in die Nordsee kippen."

      Die Liebe zum Meer zog Rio und die übrigen "Scherben" vor 13 Jahren ins nordfriesische Fresenhagen. Die Band ging 1985 auseinander, doch den Bauernhof gab man nicht auf. Rio hat dort ein Zimmer und sein Klavier. Er pendelt ständig zwischen Fresenhagen und Berlin, wo er mit seinem Freund in Kreuzberg wohnt. Eine sanierte Altbauwohnung mit Kachelbad und Fenster zum sauber gepflasterten Hof. Hier paßt Rio hin. Er kann auf die Straße gehen, ohne daß jeder gleich ein Autgramm will. Jeder Fan pickt sich das Stück Rio heraus, das ihm gefällt. Keiner will Rio real. Wo Ozonlöcher drohen und Bäume sterben, kann er doch nicht Zeilen singen wie: "Sieben wilde Löwen und ein kleines Schaf lassen niemand zu mir, der nicht zu mir darf." Die anderen, meist Teenies, finden ihern Rio einfach genauso süß wie Thomas Anders - und damit basta.

      Rio ist keiner, dem zu jedem Minister mit Dreck am Stecken , zu jedem toten Fisch im Rhein gleich der passende Vers einfällt. "Und doch fragt mich jeder Tag, auf welcher Seite ich steh", singt er. Die Träume von ´68 wirken nach. Rio glaubt, daß man die Welt noch verändern kann: "Wann - wenn nicht jetzt, wo - wenn nicht hier, wie - wenn ohne Liebe, wer - wenn nicht wir", heißt es in einem seiner Lieder. Seine Texte sind einfach. Manchmal rotzig, hoffnungslos romantisch, doch nie peinlich. Die Musik ist nicht gerade des Pops neuster Schluß. Gut abgehangene Gitarren-Riffs, verstaubte Synthesizer-Tupfer und ein fast mißglückter Reggae-Versuch können hübsche Melodien aber kaum etwas antun. Und schließlich ist da Rios brüchige Kellerkindstimme. Mit der könnte er auch "Junge komm bald wieder" singen, ohne rot zu werden.

      Hafen, Meer und Matrosenglück haben es Rio nach wie vor angetan. Sein Traum ist eine alte Yacht. Kann auch sein, daß er eines Tages auf einem Pott anheuert ...

      Anke Kapels

       

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