Bad Salzungen
Rio Reiser war am vergangenen Wochenende im Pressenwerk Bad Salzungen.
Knapp 900 begeisterten Fans bot er wohl das Beste, was die Kurstadt
in punkto Rockmusik je erlebt hat. Aber nicht nur sie waren euphorisch,
auch die Musiker waren sich am Ende einig, daß Bad Salzungen der
bisherige Höhepunkt ihrer Tour war.
Beate Funk sprach nach dem Konzert mit Rio Reiser.
stz:
Ihre neue Scheibe heißt "Himmel und Hölle". Sie haben zwei
Wohnsitze - einen Bauernhof in Nordfriesland und eine Wohnung
in Berlin. Sind damit vielleicht Himmel und Hölle gemeint ?
Liebt Rio Reiser die Extreme ?
Reiser:
Die Wohnung in Berlin habe ich aufgegeben. Das Leben in der
Stadt macht mich zu hektisch, zu viele Eindrücke. Meinen
Ausgleich habe ich ausreichend durch die Konzerte. Daß ich
Extreme liebe, stimmt in jedem Fall.
stz:
Mit dem Ende der "Scherben"-Karriere und dem Beginn Ihrer
Sololaufbahn hat sich zumindest textlich einiges verändert.
Keine Anarcho-Songs mehr, eher eingängige Popmusik, die zwar
schon noch Botschaften rüberbringt, aber doch eher auf die
sanfte Tour.
Von der Revolution im Konzertsaal, wie es in den Jahren 1979-85
üblich war, ist kaum noch etwas übrig geblieben. Hat sich die
Person Rio Reiser auch verändert ?
Reiser:
Verändern tut sich jeder. Trotzdem kreist man immer um die
gleichen Themen. Die Parolen und Ziele sind die gleichen
geblieben. Meine Sicht der Welt hat sich nicht verändert.
Ich bin keinen Millimeter angepaßter als früher.
stz:
Ihre Medienpräsenz hat deutlich nachgelassen. Woran liegt das ?
Hat das etwas mit Ihrer PDS-Mitgliedschaft zu tun ?
Reiser:
Möglicherweise mag das was mit der PDS zu tun haben. Aber
da ich das nicht beweisen kann, laß ich es lieber. Ich kenne
das, es gibt Möglichkeiten, jemanden rauszublenden. Es gibt
Direktion von oben, dann fliegt 'raus, was nicht gespielt
werden kann. Siehe "Ton Steine Scherben", da habe ich das
alles schon mal mitgemacht. Aber mir sind die Medien
schnuppe. Sie haben nicht mehr die Macht, die sie denken.
Medienpräsenz ist für mich nicht wichtig.
stz:
Würden Sie bitte zu einigen Stichpunkten Ihren Gedanken freien
Lauf lassen ?
Reiser:
Das Spiel mache ich mit.
stz:
Kindheit
Reiser:
Süddeutschland.
stz:
Beziehungen
Reiser:
Die Leute sind anders als früher. Immer interessant.
stz:
Aids
Reiser:
Ich bin der erste Ex-Aids-Kranke dieser Welt. 1992 mußte
ich wegen eines Krankenhausaufenthaltes meine Tour absagen.
Die BILD-Zeitung hat daraus geschlossen, ich sei aidskrank.
Sie haben ausführlich über meinen Zustand berichtet. Die hatten
mich schon abgeschrieben. (Anm. der Red.: Grund für Kranken-
hausaufenthalt war eine Gallenblasenentzündung). Ich habe
viele Freunde, die an Aids gestorben sind. Hätte nie gedacht,
daß das so rasant geht. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
stz:
RAF
Reiser:
Akademiker-Verein. Konnte nie wirklich was damit anfangen.
Theoretiker. Ideale hatten sie schon. Doch jeder sollte sich
das WIE mehr überlegen als das WAS. Ich kann keine Leute
umbringen und Geiseln nehmen, um Morde, Unrecht und
Unterdrückung zu verhindern.
stz:
Pabst
Reiser:
Meine Mutter. Der Pabst ist doch ein Verbrecher. Wojtyla ist ein
übler Zeitgenosse. Er hat böse Augen. Denkt wie ein Industrie-
Kapitän. Ein wirklich unangenehmer Mensch. Der 30-Tage-Pabst
hingegen war ein interessanter Fall. Der wollte was verändern.
- Bis sie ihn dann umgebracht haben. Was unterscheidet den
Petersplatz-Manager von der Stasi ? Sie haben Johannes Paul I.
einfach beseitigt. Wojtyla paßt in den Kram. Er ist ein guter
Manager für diese kriminelle Vereinigung. Ich lese jeden Morgen
die Bibel, seit ich zwölf bin. Vielleicht sollte der Pabst hin
und wieder auch mal in sein Buch reinschauen.
stz:
Frauen
Reiser:
(Langes Nachdenken - Dann:) Die Zukunft liegt bei den Frauen.
Frauen könnte man vertrauen. Man muß die eigene Weiblichkeit in
sich entdecken. Ich komme mit Frauen besser klar als mit Männern.
Frauen müssen doppelt so gut sein wie Männer, was dazu führt,
daß sie oft unangenehmer sind als Männer, aufdringlicher. Frauen
könnten mehr erreichen als Männer. Frauen sind die Lösung.