Selbst der Kommissar war mal dabei, früher im Dunstkreis der Anarcho-Gruppe
"Freiheit 81" und in ihrem Hauptquartier "Eiszeit". Davon hat er bei seiner
Einstellung natürlich nix gesagt, schließlich will er nichts weiter als ein
geregeltes Einkommen. Auch die anderen aus dem "Eiszeit" haben ihre
Vergangenheit längst hinter sich gelassen und sind jetzt alle was geworden:
Arzt oder Autohausbesitzer, Game-Show-Moderator oder PR-Agentin. Und statt
Chili con carne gibt's jetzt Sushi: Aus Anarchisten werden Yuppies.
Nur einer hat den Trend verpaßt, abgesessen im Knast, ganze elf Jahre: Rio
Reiser. Für einen Mord, den er nicht begangen hat, und weil er so herzensgut
war, niemanden zu verpfeifen von den alten Genossen. Jetzt trifft man sich
wieder im Kostümfundus eines TV-Studios, und sie wollen ihm ein Jackett
anhängen, damit er endlich seine Lederkutte mit dem Anarcho-A fallen läßt.
Doch Rio bleibt gut.
Zwar heißt Rio hier Reinhard, dabei hätte man auf diesen Gag verzichten
können, denn der einstige streetfighter kann nicht anders und
spielt irgendwie nur sich selbst. Zeigt nur ein Gesicht mit ganz großen Augen
und Trotz in den Mundwinkeln, egal, was passiert. So steht er wieder an der
"Eiszeit"-Theke, "Ton Steine- Scherben"-Songs im Hintergrund, und auf der
Straße zieht ein Schwarzer mit geschultertem Ghettoblaster vorbei. Dazwischen
irrlichtert es in Gelb und Blau, ein paar Schüsse fallen und treffen alte
Kampfgefährten.
Das plätschert so dahin, ganz ohne Spannung, dafür mit großen Sprüchen, die
die Abrechnung mit der linken Geschichte mimen: "Dafür habe ich nun
gekämpft", schluchzt der Showmaster und bricht unter seiner Studio-Dekoration
- rosa Glücksschweinchen - zusammen. Oder: "Es gibt so viele
Ungerechtigkeiten auf der Welt", schwätzt die PR-Frau, als Rio noch einmal
mit ihr das Haus besetzen will, das sie sich vor zwanzig Jahren schon einmal
unter den Nagel gerissen hatten.
Alles halt "Bürgerkinder, die Revolution spielen wollten", weiß der
Kommissar. Nur Rio nicht, immer noch Lichtgestalt und ungebrochen. Zum Schluß
steht er da an der Bahnlinie vom Orientexpress und hält eine Knarre in der
Hand - natürlich ohne Kugeln. Und ein letztes Mal scheint Licht auf in Gelb
und Blau. Besser, der Bildschirm wäre schwarz geblieben.
Elmar Kraushaar