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      Die Tageszeitung: 08.09.1992  

      Ü b e r   d a s  G l ü c k,
      A i d s   z u   h a b e n

      Doppelt gestorben: Copis "Ein ungelegener Besuch" als letzte Vorstellung der Rennaissancetheater-Experimentierbühne "theater das studio" 

      "Endlich einmal ein Aids-Stück, bei dem es etwas zu lachen gibt", verständigen sich die smarten jungen Männer, die sonst über das Thema Aids kaum noch lachen können. Im kleinen Studio des Renaissance-Theaters treffen sich an diesem Abend diejenigen, die Copis wüste Farce um Leben und Sterben auf einer Aids-Station vielleicht einmal selbst angehen wird, mit der Creme der Berliner Theaterszene. Heiner Müller sitzt mit smarter weiblicher Begleitung in Reihe drei, Peter Palitzsch kann ihm fast in den Nacken blasen, Irm Hermann, gerade an der Volksbühne abgewickelt, hält sich diskret im Hintergrund. Viel Prominenz für ein pominentes Thema und einen traurigen Anlaß. Denn dieser Abend ist auch so eine Art Kondolenzbesuch. Das "studio" des Renaissance-Theaters muß nach dieser Produktion schließen, obwohl es von beiden Häusern schon lange das erfolgreichere war. Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen. Theatersterben - neuerdings Alltag in Berlin.Erhobenen Hauptes wollten sie sich verabschieden, haben noch einmal alle Register gezogen für Copis geniale dramaturgische Hinterlassenschaft. Der argentinische Schriftsteller und Karikaturist konnte die Uraufführung seines »Ungelegenen Besuches« nicht mehr erleben. Er starb zwei Monate zuvor in einem Pariser Krankenhaus an Aids. Nun steht Rio Reiser, der sein Coming- out erst im letzten Jahr hatte, auf der von Astrid Reinhard sehr einfallsreich eingerichteten Bühne des studios und singt als schwuler Liebhaber wunderschöne Musik von Peer Raben. Man ist hier unter sich.

      Was auf der Bühne geschehen soll, ist - dem Thema angemessen - grotesk: Cyrillus (Ludwig Boettger) feiert seinen zweiten Aids-Geburtstag auf der HIV-Station eines Pariser Krankenhauses. Zur makaberen Feier des Tages versammelt sich eine seltsame Schar um sein Sterbelager: da ist der ergebene Verehrer Hubert (Rio Reiser), der seiner unerfüllt verzehrenden Liebe mit einem gigantomanischen Mausoleum auf dem Père Lachaise Ausdruck verleihen möchte, ein junger Journalist (Andreas Erfurth), der den berühmten Schauspieler ein letztes Mal interviewen will, es am Ende aber nicht tut, weil er dann doch gar kein Journalist ist, dafür aber ständig die Hosen herunterläßt. Dazu die melodramatische Opernprimadonna Regina Morti (Robin Gooch), die den siechenden Meister noch eben schnell ehelichen möchte, weil sie Cyrillus' Schicksal für die ideale Ergänzung ihrer Biographie hält. »Was für ein Los für eine Witwe!« befindet sie zwischen zwei theatralen Arien und fuchtelt in Ermangelung anderer Chancen mit dem Roastbeefmesser zwischen ihren Rippen herum. Eine schwuchtelige Krankenschwester (Artur Albrecht) und ein irrer Professor (Jean-Claude Mawila) runden das Chaos ab, indem sie von links und rechts, oben und unten auf die Bühne stürmen, wenn es gerade ganz anders weitergehen sollte, auf der Szene kopulieren und ihre sexuellen Probleme drastisch ausagieren. Leben als Farce, Sterben als Leidenschaft.Es hätte ein großartiger Abend werden können, Copis fulminanter Rundumschlag ließe das allemal zu, aber am Ende waren die smarten jungen Männer, die doch so gerne einmal etwas zu lachen gehabt hätten, doch ein wenig enttäuscht.

      Denn trotz aller Regiefinessen und Running Gags vermochte es Regisseur Volker Sprengler dann doch nicht, mit Copis rasantem Tempo Schritt zu halten. Aus dem nuschelnden Popstar Rio Reiser ließ sich - Coming- out hin oder her - dann wohl doch so schnell kein großartiger Schauspieler machen. Wichtige (Ein)sätze wie »Sie haben das Glück, Aids zu haben, hier kann ihnen nichts mehr passieren« vergibt roarin' Rio ein ums andere Mal, und das nicht nur, weil auch Ludwig Boettger von seiner Rolle als exzentrischer Aidskranker sichtbar überfordert ist. Wäre da nicht Robin Goochs gigantisches komisches Talent gewesen, das dazu taugt, ihre hervorragende Sangesvorstellung noch zu überbieten, hätte Jean-Claude Mawila nicht dankenswerterweise den Mut zum wahrhaft grotesken Spiel aufgebracht, der Kondolenzbesuch in der Knesebeckstraße wäre am Ende wirklich zu einem Trauerspiel verkommen. So aber retteten vor allem diese beiden das Stück vor dem traurigen Verfall, zogen sogar gelegentlich Artur Albrecht mit, aus dem auf diese Weise dann doch noch eine rechte Krankenschwester-Schwuchtel werden konnte, und machten es möglich, daß ein schwacher Cyrillus am Ende der eineinhalbstündigen Vorstellung in Würde dahinsiechen konnte.

      Klaudia Brunt

       

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