Seelenbinder
Von den feinen Unterschieden, die manche Musikredakteure nun machten, zwischen der musikalischen Qualität Rios auf den Scherben platten und auf Rios Solo-LPs., merkten die Scherbenfans in der DDR nichts. Die allermeisten kannten Rio nur akkustisch und nicht als politischen Bannerträger einer großen Jugendhoffnung in der BRD.
Rio blieb für sie Rio , ob er auf Platten und CDs mit der Zwille sang oder mit dem Logo von Sony. Die Tournee durch die DDR, 1990 nach der Maueröffnung war Rios einzige ohne finanzielles Fiasko , hier handelte man Schwarzmarktpreise für eine Eintrittskarte. und zahlte ohne Murren an der Kasse was der Veranstalter verlangte.
Hol über!
Hol über Fährmann! Wer würde heut noch Märchen schreiben in dem sich einer wünschte König zu werden, wie das tapfere Schneiderlein? Rio haute ab, die nächste Talgschau konnte warten, oder sie spielten aus der Konserve, sah sowie so alles gleich aus wie bei Aldi, beim Baumarkt oder bei Saturn. "Noch eine Frage Rio, warum tritts Du barfuß auf?" "Noch eine Frage Rio; engagierst Du Dich noch politisch?" Countdown für die neue Platte läuft, "Die Zahlen sehen noch schlecht aus Rio." Rio flog nach Rio , Rio flog nach Thailand, Rio flog nach Maimi.
"Ich hatte Dich in Samarkand erwarte nicht hier in Maimi " sagte dort der Barkeeper zu ihm, der wie Boris Karloff aussah.
"Was möchtest Du trinken?"
"Einen Tequilla."
Nein, als er aufwachte roch es nicht nach Trabis auf dem Kudamm, das war ein Jahr früher, da war plötzlich die Mauer offen. Die Rede des Herrn Schabowskys im Deutschen Fernsehfunk hatte Rio verschlafen. Jetzt wachte er aus dem Koma auf und lag im Hospital im Schlafanzug aus Papier. Und Deutschland wurde gerade souverän, der zweite Weltkrieg war beendet. Vor dem Brandenburger Tor sangen der Grundeischor die Deutschlandhymne, begleitet von einem Pfeifkonzert. Rio lag nicht auf dem Pflaster vor dem Brandenburger Tor, war nicht aus dem Wagen der Quadriga gefallen, sondern vom Hocker an einer Bar. Er lag jetzt hier schon länger im Koma. Nun war er doch noch aufgewacht.
Boris Karloff, der so erstaunt war, ihn in Miami zu treffen, hatte ihm k.o.- Tropfen ins Tequillaglas gekippt. Seine Leber würde das nur noch überstehen, wenn er keinen Tropfen Alkohol mehr trank. Das sagten ihm in Berlin die Ärzte. Er war nun das dritte mal in seinem Leben in einem Krankenhaus. Das erste Mal als er als Kind eine Blinddarmentzümdung simulierte um frei zu haben von der Schule. Das zweite mal in Miami, und jetzt lag er hier, wieder in Berlin. nicht weit vom Charlottenburger Schloßpark im Krankenzimmer.
Rio ein Stehaufmännchen, freute sich wie Volpone, wie der Löwe in der Fabel, der seinen Tod vorspielte um zu sehen, wer sich auf die Krone stürzen wird.
Einen Nachruf gabs noch nicht, aber eine Karte von Freunden: "Willkommen im Klub." Eine Zeitung hatte geschrieben Rio habe Aids. Vergiftet war er, und an das Verbot der Ärzte hielt er sich nicht. Aber ob das Gift nun aus Miami stammte oder ihm in diesem Land ins Ohr getreufelt worden war, von dem er nicht mehr los kam. Ja, das weiß kein Mensch zu sagen.
Die Geier kreisten, die Wölfe heulten, Gläubiger wollten wieder Geld, Feinde wollten sich mit ihm vertragen, Freunde spielten falsch. Der Glueck sah schwarz als Rio in die PDS eintrat, aber so ist eben das Leben, deshalb stirbt man nicht. Karrloff konnte noch auf ihn warten in Samarkand.
Rio spielte Theater, Fernsehrollen, schrieb Bühnenmusiken, eine Oper, zwei Musicals, und seine Biographie,, tourte 1996 bis zum Erbrechen über das Verbrechen, wie man in diesem Land Künstler durch den Fleischwolf dreht, durch die vereinte Republik; .und ging ins Studio mit neuen Liedern "über alles" und über den "Himmel und die Hölle".
Als er seine neue Platte fertig hatte, im Kopf, an einem heißen Augusttag, es war der zwanzigste, ein Dienstag, 1996, starb er am späten Nachmittag, in Fresenhagen, nicht in Samarkand. Die Bibel die er auch an diesem Tag gelesen hatte war bei Jesus Sirach aufgeschlagen.
Saint Rio, der Barfüßler, zu gut für dieses Leben, ein verkommenes Genie, der sich nicht disziplinierte, die harte Arbeit des Verkaufens nicht durchhielt, lieber spielte, sang und musizierte als in die harte Lebensschule zu gehen. Auch wenn es im Königreich von Rio dem Ersten keine Bank gab die Geldnoten druckte. die Schätze, die er angehäuft hat, liegen ausgebreitet, zwar nicht auf dem blauen Tuch der Unke aber auf silbrig glänzenden Scheiben. Aber auch dort sind sie nicht aufgehoben, sie verfliegen, wenn´ Glaube, Liebe Hoffnung", nur noch eine Ware sind. Hanna Arendt - die beiden haben sich nie kennengelernt, eigentlich schade - sie kommt hier vor, zum Schluß, weil sie geschrieben hat:
"Gewonnen wird die Humanität nie in der Einsamkeit und nie dadurch, daß einer sein Werk der Öffentlichkeit übergibt. Nur wer sein Leben und seine Person mit in das Wagnis der Öffentlichkeit nimmt kann dies erreichen"
Peter Möbius