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      Frankfurter Rundschau: 22.08.1996

      D e r   l e t z t e
      l i n k e   V o l k s s ä n g e r
      Rio Reiser, Sänger ("Ton Steine Scherben"), Songtexter und Schauspieler, ist tot

      Am Anfang war die Anarchie. Unter dem Pflaster lag der Strand, und was einen kaputt machte, das machte man kaputt. Was vom Eve of Destruction in den siebziger Jahren übrig blieb, waren "Ton, Steine, Scherben", und sie machten Politrock, die Songs so kernig wie Parolen ("Keine Macht für niemand") und gelegentlich auch so sanft und balladesk, wie es die Stimme des Sängers hergab.

      Später, da es mit der Anarchie nicht recht klappen wollte, kam die Monarchie. 1985 löste sich die Band auf, und der Sänger und Songtexter Rio Reiser, der unter dem Namen Ralph Möbius 1950 in Berlin geboren wurde, begann eine Solokarriere, an deren Anfang das Album König von Deutschland (1986) stand. Auch Rio I, blieb ein linker Rocker, politischer als es Hutträger Udo Lindenberg je war, und in seinen Songs und öffentlichen Statements konnte man hören, wie im Hintergrund die linke Welt in lauter Scherben zerfiel. "Irgentwie", weil´s der Weltgeist gerade präziser nicht wollte, forschte Reiser unermüdlich weiter nach politischen Heimatgefühlen. "Volksmusik", nannte er jene Mischung aus Beat, Polka, Westcoast, Shanties und Bob Dylan, wie sie auf seinem Album Über alles (1993) zu hören war, und mit ähnlichen Trotz outete er sich als "Patriot". Die Titel von Himmel und Hölle (1995) schließlich ließen den weichgespülten Geist der "Scherben" wiederauferstehen: "Gefahr", "Streik", "Träume" oder "Hoffnung" hieß es da gesinnungsfest und lapidar, obgleich Musik und Texte besser waren, als es die Titel androhten.

      Rio Reiser sympathisierte kurz mit den Grünen, und 1990 trat er der PDS bei, weil "sie das einbringt, was an der DDR wichtig und gut war." Doch weil Könige moderat sein müssen, fügte er hinzu: "Ich könnte aber jederzeit saen , daß ich ein Christ bin. Ich lese jedenfalls jeden Tag in meiner Bibel." Linke Volkssänger haben´s halt nicht leicht.

      Dann schrieb er das Musical (Knock out Deutschland, 1994), das mit beinharter linker Gerade die Henry-Maske-Story und Ödön von Horvath zusammenbrachte, und die Massen, die in den siebziger jahren nicht wollten, sie strömten in Scharen ins einstige Karl-Marx-Stadt. Nach den Musical-Erfolgen, nach einer Lesetour mit seinem Buch König von Deutschland versuchte sich Reiser erneut als Schauspieler. Ein gealterter Anarcho war er im Tatort (1995), nachdem er bereits 1977 in Peter Welz´ Johnny West einen jungen Musiker mit wenig Fortune gespielt hatte.

      Vor einigen Wochen hatte Reiser eine Tournee aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen. Sein neues Album wollte er im September aufnehmen. Nun ist Rio Reiser, 46jährig, in seinem Haus in der Nähe von Niebüll gestorben.

      FR

       

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