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      Bombentrichter

      Rio kam am 9. Januar 1950 auf die Welt. In der Berliner Mattheii-Gedächtniskirche wird er, das dritte Kind von Herbert und Erika Möbius, auf den Namen Ralph Christian getauft.
      Später, als er sich Rio Reiser nannte, und König von Deutschland geworden war, erzählte er der Presse: gerne; Ein Rotarmist habe ihn in einem Bombentrichter aufgelesen, als Findelkind. Adoptiert habe ihn ein Nürnberger Fabrikantenehepaar, die Familie Möbius.
      Rio Reiser wurde in Berlin geboren, im Westsektor der Viermächtestadt. Sein Vater, ein Siemens-Ingenieur, fotografierte nach dem Krieg Ruinen. Der Magistrat der Stadt und die Alliierten wollten es schwarz auf weiß, was übrig geblieben war von der "Reichshauptstadt des Führers". Andere handelten mit amerikanischen Zigaretten, sammelten Buntmetall und klauten Kohlen, um sich und ihre Familie zu ernähren.
      1950 im Januar, ist gerade mal für ein paar Monate Frieden auf der Welt. In China wurde die Volksrepublik China gegründet. Der Korea-Krieg hat noch nicht angefangen.
      Der Krieg, den die deutsche Panzerknackerbande begann: "Heute gehört uns die Kohldampfinsel , morgen die ganze Welt" ist zwar noch nicht endgültig zu Ende, aber er wird eingefroren. Deutschland hatte am 8. Mai 1945 bedingungslos kapituliert. Als Waffenstillstand kommt der Zweite Weltkrieg ins diplomatische Kühlfach und wird dort zum kalten Krieg. Völkerrechtlich hört der Zweite Weltkrieg, erst 1990 auf.
      Das der Krieg nicht mehr heiß ist, nicht mehr brennt, wie Phosphorbomben, Wundfieber und Flammenwerfer, das spürt jetzt jeder, müde und ausgehungert, am eigenen Leib.

      Siemensianer

      Aus Stahlhelmen werden nun Kochtöpfe und die Werkzeuge für Granatenzylinder werden auf die Fertigung von Küchenherden eingestellt. Das größte Giftgaslager der Welt hatte Hitler im oberbayerischen Rupertiwinkel versteckt, in einem Waldstück zwischen Traunstein und Trostberg.
      Als die Familie von Berlin nach Bayern zog, hatte der Ort gerade einen Namen bekommen: Traunreut.
      Auch hier werden Bunker gesprengt und die Giftgasgranaten werden in der Ostsee versenkt. Die "Munahäuser" werden zu Wohnungen umgebaut. Ein strebsames, fleißiges Völligen, die "Siemensianer" zieht dort ein und hält, wie Siedler im Indianerland - vor allem die Traunreuter Kinder, - zusammen gegen die Eingeborenen vom Bajuwarenstamm.
      Rios Vater, der Berliner Ruinenfotgraf arbeitete wieder am Zeichenbrett als Ingenieur bei seiner alten Firma. Siemens, brauchte ihn nun hier oberbayerischen Zweigwerk, das auf den Fundamenten der Giftgasfabrik stand.
      Die Nazis waren auch verschwunden, wohin, wußte kein Mensch. Nur Peter, Rios älterer Bruder wußte es. Peters Freund hatte ihm heimlich - keiner durfte es wissen - auf dem Dachboden die Wehrmachtsuniform seines Vaters gezeigt. Dort hing sie zwischen ausgedienten Möbelstücken, Skiern und Rodelschlitten, wie eine abgelegte Drachenhaut, mit blankgeputzten Knöpfen, Koppelschloß und Ehrendolch.
      Besatzungssoldaten sah man erst, in Salzburg oder Berchtesgaden. Hier im Rupertiwinkel, zwischen Alpen und Chiemsee, waren die Siemensianer die Besatzer. Sie kamen entweder aus Berlin oder waren Sudeten. Die Traunreuter hatten ihre Feierstunde, wenn im Radio die Insulaner kamen, das Berliner Frontstadtkabarett. Der Wastl Fanderl und die Fischbachauer Dirnd, die bayrische Volksmusik ging den Preußen auf die Nerven.

       

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